26. Juli 2009 Der CDU-Minister hält die Wehrpflicht nach wie vor für die beste Wehrform in einer Demokratie. Er will auch an der Praxis von neun Monaten festhalten, gibt aber zu, dass man „nachjustieren“ müsse. Ein F.A.Z.-Gespräch mit Verteidigungsminister Franz Josef Jung.
Herr Minister, selbst wenn die Union in der nächsten Legislaturperiode weiterhin den Verteidigungsminister stellen kann, hat sie keinen möglichen Koalitionspartner mehr, der uneingeschränkt zur Wehrpflicht steht. Was dann?
Es wäre sehr klug, wenn wir an der Struktur der Wehrpflicht festhalten. Diejenigen, die die Bundeswehr gegründet haben, haben zu Recht wesentliche Punkte auch auf die Wehrpflicht bezogen: Armee in der Demokratie, Staatsbürger in Uniform. Noch heute gilt: Die Wehrpflicht ist die intelligentere Wehrform. Viele junge Leute, die die Wehrpflicht leisten, verpflichten sich weiter. 40 Prozent unserer Zeit- und Berufssoldaten waren Wehrpflichtige. Ich war kürzlich bei einem Transportbataillon in Ellwangen, wo mir junge Wehrpflichtige gesagt haben, sie hätten einen ganz anderen Eindruck von der Bundeswehr bekommen. Dies sei ein positiver Eindruck, und deshalb hätten sie sich schon nach vier Wochen entschlossen, bei der Bundeswehr zu bleiben. Wesentlich ist auch die Erfüllung des sicherheitspolitischen Auftrages. Wir haben nach unserer neuen Struktur 250.000 Soldaten, dazu gehören 60.000 Wehrpflichtige. In unserem Gesamtkonzept muss die Wehrpflicht weiterentwickelt, aber in der Grundstruktur erhalten bleiben.
In welche Richtung weiterentwickelt?
Wir müssen dem Thema der Einberufungsgerechtigkeit Rechnung tragen. Deshalb habe ich entschieden, dass wir die Planstärke um 5000 Stellen erhöhen, um von denen der Bundeswehr tauglich zur Verfügung stehenden Jugendlichen 80 Prozent einberufen zu können. Mein Ziel ist es, das noch weiter zu steigern. Die Wehrpflichtigen leisten auch einen wichtigen Beitrag zum Schutz Deutschlands: Im Katastrophenschutz, von der Hochwasserhilfe bis hin zu Orkanschäden. Aber auch in der Unterstützung unseres Einsatzauftrages im Heimatland. Übrigens wollen 62 Prozent der Bevölkerung nach den neuesten Umfragen, die mir vorliegen, dass wir an der Wehrpflicht festhalten.
Viele Grundwehrdienstleistende beklagen, dass sie nach ihrer Grundausbildung, die sie als fordernd empfinden, nur noch „Gammeldienst“ leisten müssten. Es gibt Vorschläge, dem zu begegnen, indem die Wehrdienstdauer auf ein knappes halbes Jahr weiter verkürzt wird. Ist das eine Option?
Wir sind mit der derzeitigen Praxis von neun Monaten gut beraten. Wir haben drei Monate Grundausbildung und drei Monate Spezialausbildung. Danach stehen die Soldaten für die Einsatzunterstützung und den Schutz Deutschlands zur Verfügung. Es ist aber wichtig, dass diese Zeit auch sinnvoll genutzt wird. Ich habe jetzt in meiner Amtszeit 205 Truppenbesuche gemacht. Im großen und ganzen konnte ich dabei feststellen, dass das so der Fall ist. In einzelnen Fällen aber nicht, da müssen wir nachjustieren. Ich habe das selbst erlebt, ich habe 15 Monate Wehrdienst geleistet. Es gab Zeiten, in denen man das Gefühl hatte, dass man nicht so unbedingt gebraucht wird, das war sehr unbefriedigend. Da müssen wir auf jeden Fall gegensteuern.
Immer mehr Staaten in der Nato und der EU geben die Wehrpflicht auf. Woher nehmen Sie die Gewissheit, dass alle anderen in die falsche Richtung fahren und wir in die richtige?
Ich will hier keine vergleichende Bewertung vornehmen. Aber wenn Sie sich das konkrete Auftreten unserer Soldaten in den Einsätzen anschauen, dann werden Sie bestärkt, dass es richtig ist, an der Wehrpflicht festzuhalten. Viele meiner Kollegen sagen mir, wenn wir abends zusammen sitzen und auch einmal unter vier Augen Dinge offen ansprechen, dass sie heute, wenn sie noch einmal könnten, gerne wieder zur Wehrpflicht zurückkehren würden. Ich sehe, welche Probleme mein amerikanischer Kollege hat, genug Soldaten für seinen Auftrag zu bekommen. Auch was dort jetzt an Werbemaßnahmen für die Nachwuchsgewinnung notwendig wird, kostet sehr viel Geld. Wir haben heute eine Bewerberlage bei den Offizieren von fünf zu eins: Auf eine Stelle gibt es aktuell fünf Bewerber. Bei den Mannschaften ist sie zwei zu eins.
Muss man nach der Wahl noch einmal an die Struktur heran?
Natürlich ist es immer wieder notwendig, dass wir uns auf aktuelle Entwicklungen einstellen und entsprechend anpassen. Zum Beispiel beim Sanitätsdienst habe ich eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die Vorschläge für mehr Effektivität und höhere Zufriedenheit unserer Ärzte machen soll. Zum Glück haben wir die Abwerbung bei unseren Ärzten stoppen können. Aber wir brauchen noch Fachärzte. So haben wir den Zugang zum Studium verbessert, da bin ich den Ministerpräsidenten der Länder dankbar. Weitere Änderungen sind notwendig. Das kann auch für andere Bereiche der Bundeswehr gelten.
Brauchen wir mehr Infanteriekräfte?
Derzeit können wir unseren Bedarf decken. Aber wir wollen 14.000 Stabilisierungskräfte gleichzeitig in bis zu fünf Gebieten für den Einsatz haben. Gegebenenfalls muss man hier noch nachjustieren.
Wird die Haushaltslage zu neuen Entscheidungen zwingen?
In dieser Legislaturperiode konnten wir unseren Verteidigungsetat um etwa vier Milliarden Euro anheben. Das war notwendig, auch wegen der zusätzlichen Einsätze vom Kongo bis ans Horn von Afrika. Ich hoffe und wünsche, dass wir den Rahmen trotz der schwierigen Situation beibehalten können.
Sie glauben also, der Verteidigungsetat bleibt ungeschmälert, wenn die anderen Ressorts zurückstecken müssen?
Ich hoffe, dass wir den 42. Finanzplan, der aktuell gültig ist, beibehalten können.
Was wird aus dem milliardenschweren Raketenabwehrprogramm Meads?
Das befindet sich in einer nicht ganz einfachen Situation. Ich habe gerade erst meinem amerikanischen Kollegen Bob Gates geschrieben, dass ich der Auffassung bin, wir sollten an diesem Luftabwehrsystem festhalten. Wir können das finanziell gewährleisten. Aber dazu gehört auch, dass sich andere Nationen weiterhin engagiert beteiligen.
Wie lange soll der Bündnisfall der Nato als Reaktion auf die Terrorangriffe vom 11. September 2001 in Kraft bleiben?
Das ist eine Entscheidung, die der Nato-Rat nach dem 11. September getroffen hat. Wir sind heute noch auf der Basis dieser Entscheidung an den Marineoperationen Active Endeavour im Mittelmeer und Enduring Freedom am Horn von Afrika beteiligt. Hier geht es darum, Terroristen Rückzugsräume zu nehmen. Ich sehe weiterhin die Notwendigkeit, dieser Verpflichtung zu entsprechen. Eine Beendigung wäre eine Entscheidung, die der Nato-Rat zu treffen hätte. Zuvor müssen wir aber aus meiner Sicht die terroristischen Aktivitäten weit zurückgedrängt haben.
Das heißt, weiter Beteiligung an der Operation Enduring Freedom (OEF) am Horn von Afrika, obwohl in demselben Seeraum die Anti-Piraten-Operation Atalanta ein viel robusteres Mandat bietet?
Wir haben Atalanta einen Seefernaufklärer, also ein Flugzeug, aus OEF unterstellt, aber wir sind auch weiter dem Mandat der Operation Enduring Freedom verpflichtet. Und wir werden dort unseren Auftrag ab September auch wieder mit einer Fregatte wahrnehmen.
Die Fragen stellte Stephan Löwenstein.
Text:
F.A.Z.
Bildmaterial: ASSOCIATED PRESS, ddp
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